Natur und Mensch

An­alpha­be­tis­mus – Was ist das?

Warum gibt es Analphabeten?

Mit diesem Wort, das aus dem Griechischen kommt, werden Menschen bezeichnet, die weder lesen noch schreiben können. Als Kinderrechte-Expertin oder -Experte fragst du dich sicher, wie das möglich ist. Die Ursachen für Analphabetismus sind sehr unterschiedlich. Armut ist einer der Hauptgründe, warum Menschen keinen Zugang zu Lese- und Schreibunterricht haben. Viele Familien können das Schulgeld nicht bezahlen. Manche Kinder müssen schon früh zum Familieneinkommen beitragen und Geld verdienen. Weil es zu wenige Lehrerinnen und Lehrer gibt und es oft an der Zeit fehlt, werden viele Kinder und Jugendliche in der Schule nicht bestmöglich gefördert. Auch Geschlechterdiskriminierung spielt eine Rolle: Weltweit dürfen viele Mädchen und Frauen nach wie vor nicht zur Schule gehen, obwohl laut Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention alle Kinder auf der ganzen Welt das Recht auf Bildung haben. Fakt ist: Wer als Kind nicht lesen und schreiben lernt, kann es meistens auch als Erwachsener nicht.

Formen von Analphabetismus

  • Primärer Analphabetismus: Betroffene können überhaupt nicht schreiben und lesen. Sie haben das nie gelernt. Da in den Industrieländern - das sind reiche Länder, in denen es viele Fabriken gibt wie zum Beispiel die USA, viele Länder in Europa, Südkorea, Australien und Japan - die Schulpflicht gilt, gibt es in diesen Ländern fast niemanden, der gar nicht lesen und schreiben kann. In vielen ärmeren Ländern ist diese Zahl jedoch deutlich höher.

  • Sekundärer Analphabetismus: Betroffene haben als Kinder schreiben und lesen gelernt, es aber als Jugendliche oder Erwachsene wieder vergessen oder verlernt.

  • Funktionaler Analphabetismus: Betroffene haben lesen und schreiben gelernt. Manche können Wörter und einzelne kurze Sätze schreiben oder lesen. Längere, zusammenhängende Texte bereiten ihnen jedoch Schwierigkeiten. Sie geraten ins Stocken und müssen Passagen mehrmals lesen. Selbst dann verstehen sie oft nicht, was sie gerade gelesen haben. Die Kenntnisse reichen in den meisten Fällen nicht über das Grundschulwissen der ersten drei Klassen hinaus. Funktionaler Analphabetismus hat nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun. Persönliche Probleme oder Probleme in der Familie sind mögliche Gründe. Viele Betroffene sind in ihrem alltäglichen Leben stark eingeschränkt. Sie leiden unter Minderwertigkeitsgefühlen und haben schon in jungen Jahren verletzende Erfahrungen gemacht.

Zahlen und Fakten weltweit

  • Weltweit gibt es ca. 750 Millionen Analphabeten (Stand: 2019).
  • Fast zwei Drittel davon sind Frauen und Mädchen.
  • Rund 102 Millionen sind Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 24 Jahren.
  • Die meisten der Menschen, die weder lesen noch schreiben können, leben in Asien oder in Afrika südlich der Sahara. Im weltweiten Vergleich leben aktuell in Niger in Afrika  am meisten Menschen, die weder lesen noch schreiben können.
  • In Europa kann jeder fünfte Mensch entweder gar nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben.

Gibt es in Deutschland Analphabeten?

Da es die Schulpflicht gibt, lernen fast alle Menschen in Deutschland lesen und schreiben. Einige können das Gelernte aber nicht gut anwenden oder benutzen es so wenig, dass sie es wieder vergessen. Etwa 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland sind funktionale Analphabeten, das sind rund 12 Prozent der Bevölkerung. Davon können rund 5 Millionen Menschen einzelne kurze Sätze lesen und schreiben, aber keine Texte verstehen. Etwa 2 Millionen können einzelne Wörter lesen und schreiben, aber keine ganzen Sätze. Die wenigsten können gar nicht lesen und schreiben.

Zahlen und Fakten in Deutschland

  • Jeder achte Erwachsene in Deutschland ist funktionaler Analphabet. Das sind 6,2 Millionen Menschen oder auch 12,1 Prozent der Menschen zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland.
  • Davon sind rund 58 Prozent Männer, rund 42 Prozent Frauen.
  • Ältere Menschen sind häufiger betroffen als junge Erwachsene.
  • Mit 52,6 Prozent hat mehr als die Hälfte dieser sogenannten funktionalen Analphabeten in der Kindheit Deutsch als Muttersprache gelernt, das sind 3,3 Millionen Erwachsene. Rund 2,9 Millionen haben zunächst eine andere Sprache als Deutsch erlernt.
  • Mehr als 60 Prozent der Menschen mit Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben besitzen keinen (ca. 22 Prozent) oder einen niedrigen Schulabschluss (ca. 40 Prozent). Wer das Lesen und Schreiben in den ersten Schuljahren nicht ausreichend lernt, kann es im weiteren Schulverlauf nur schwer nachholen.
  • Zwar sind deutlich mehr als die Hälfte, nämlich 62,3 Prozent der Menschen mit eingeschränktem Lese- und Schreibvermögen berufsstätig und haben Familie. Viele sind jedoch Geringverdiener und in Berufen tätig, die man ohne Ausbildung ausüben kann. Generell bleiben sie im Beruf oft unter ihren Möglichkeiten.
  • Seit 2016 bemüht sich das Bundesbildungsministerium durch Bildungsangebote und Selbstlernmöglichkeiten, die Alphabetisierung und Grundbildung zu fördern, um die Lese- und Schreibkompetenzen von Erwachsen in Deutschland bis 2026 deutlich zu verbessern. Diese zehn Jahre (das nennt man eine Dekade) werden "AlphaDekade" (Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung 2016-2026) gennant.

Wie meistern Analphabeten das Leben?

In unserem Alltag lesen und schreiben wir so viel, dass uns gar nicht auffällt, dass fast überall gute Kenntnisse vor allem im Lesen vorausgesetzt werden: E-Mails, Nachrichten, Speisekarten, Bedienungsanleitungen, Straßenschilder, Verträge, Behördenschreiben, Automaten, Plakate, Fahrpläne, bei der Arbeit, in Einkaufsgeschäften und noch vieles mehr. Die Liste ist lang. Dinge des alltäglichen Lebens werden für Analphabeten zur Herausforderung. Nicht lesen und schreiben zu können ist in unserer Gesellschaft ein Tabu und viele Betroffene wollen deshalb nicht zugeben, dass sie mit dem Lesen und Schreiben Probleme haben. Scham und Leidensdruck sind oft sehr groß.



Für ihren Alltag denken sich Analphabeten viele einfallsreiche Tricks aus, wie sie ums Lesen und Schreiben herumkommen, ohne dass jemand merkt, dass sie es gar nicht können. So haben sie beispielsweise die Ausrede, ihre Lesebrille vergessen oder ihre Hand verletzt zu haben und deshalb nicht lesen oder schreiben zu können. Damit sie nicht immer andere um Hilfe bitten müssen, fahren sie oft immer dieselben Wege mit Auto, Bus oder Bahn, gehen immer in dieselben Cafés und bestellen immer das Gleiche. In ihrem gewohnten Umfeld kennen sie sich gut aus und kommen ohne Lesen und Schreiben zurecht. Doch wenn etwas Unvorhergesehenes passiert - beispielsweise eine Baustelle mit Umleitung oder ein Zugausfall-, dann wird es für Analphabeten schwer.

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Eure Kommentare

Ich habe eine Frage, sind hier auch Menschen mitgezählt, die wegen einer geistigen Behinderung nicht oder nur schlecht lesen/schreiben können oder es nicht MEHR können wenn die Behinderung stärker wird? Weil hier steht z.B. wegen der Schulpflicht kommt das in Deutschland fast gar nicht vor. Aber manche geistig behinderte Kinder lernen das trotzdem nie.

Hallo, 

auch Menschen mit einer geistigen Behinderung können Analphabetinnen und Analphabeten sein.

Viele Grüße

dein ks-Team

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Hallo! Vielen dank für diesen hilfreichen Beitrag. Ich konnte es gut gebrauchen. Nur eine Frage: kann man als Analphabet das Analphabetismus bekämpfen oder ist es eine lebenslange Sache? 

 

Hallo! In Deutschland gibt es fast überall Kurse oder andere Hilfsangebote, die man wahrnehmen kann. Viele Grüße, dein ks-team 

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Hallo. Die Beiträge sind sehr gut und ich habe alles vestanden. ich habe trotzdem noch eine Frage. Kann man Analphabetismus bekämfen und dann schreiben und lesen lernen oder bleibt es so ein Leben lang?

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Hallo, meiner Meinung nach, kann es zu tun haben mit dieser verdammten Umstellung auf Smart-Phones, Tablets usw., die Phones werden immer smarter aber wir hingegen dummer, weil wir langsam den  Kontakt zu der reallen Welt velieren, die Menschen lesen immer weniger und kommunizieren direkt miteinander ebenso immer weniger.

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Hallo, 

kann man einen funktionalen Analphabetismus schon in der Grundschule erkennen? Worauf muss man achten?

Gruß Andrea 

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Kommt anders. Heftiger Beitrag zu dem Thema. Fast geweint. Immer weiter so, lasst die Neider reden.  In dem Sinne, bleibt stabil.lUL