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Portrait Elisabeth Stroetmann
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Elisabeth Stroetmann
Kurztext

Elisabeth Stroetmann (Lehrerin für Deutsch und Philosophie) ist Landeskoordinatorin der Kinderrechteschulen NRW. Seit mehr als 10 Jahren ist sie im Themenfeld „Kinderrechte im Rahmen schulprogrammatischer Entwicklung“ in NRW aktiv und begleitet mit dem LANDESPROGRAMM KINDERRECHTESCHULEN NRW seit 2015 Schulen auf ihrem Weg zur Kinderrechteschule.

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Portraitaufnahme der Autorin, Laura Krause
Name
Laura Krause
Kurztext

Laura Krause studiert Erziehungswissenschaften an der Universität Münster. Im Zuge ihres Studiums hat sie ein Praktikum im „Kinderrechteschulen Programm NRW“ absolviert und in diesem Rahmen an diesem Beitrag mitgewirkt. Sie engagiert sich für Kinderrechte und beschäftigt sich mit Bildungsgerechtigkeit.

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Die Schlüsselrolle pädagogischer Fachkräfte für die Inanspruchnahme der Kinderrechte in Bildungsinstitutionen

Die Rechte von Kindern sind nicht abstrakt zu verstehen, sondern eine alltägliche Herstellungsaufgabe von allen an Schule Beteiligten, schreiben Elisabeth Stroetmann, Landeskoordinatorin Kinderrechteschulen NRW und Laura Krause. Ihr Beitrag enthält eine einführende, wissenschaftliche Betrachtung zu der Frage, welche Schlüsselrolle Pädagog*innen für die Inanspruchnahme der Kinderrechte in Bildungsinstitutionen einnehmen.

Überlegungen zur Herausbildung eines menschenrechtsbasierten Professionsverständnisses in hierarchisierten Institutionen

"Der pädagogisch verantwortungsbewusste Umgang mit den Menschenrechten der Kinder und die Entwicklung von Unterricht und Schule […] gehören zum Kern der Lehrerprofessionalität […]. Er ist keine Angelegenheit, die in die Zuständigkeit einer einzelnen Fachdidaktik delegiert werden darf." – Lothar Krappmann 2016

Trotz der Verpflichtung zur Bekanntmachung der Rechte der Kinder und Jugendlichen (Artikel 42 UN-KRK) und im Gegensatz zur Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) für das Leben und die Entwicklung von Kindern ist die UN-KRK immer noch nicht ausreichend bekannt. Die Kinderrechte spielen im Alltagsbewusstsein und Professionsverständnis von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften nur eine untergeordnete Rolle und sind selten weder im Leitbild noch im Alltag formaler und non-formaler Bildungseinrichtungen lebendig verwirklicht. Dabei haben Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte eine Schlüsselrolle für die Verwirklichung von Kinderrechten in der Schule, wie dieser Beitrag zeigen soll.

Kinder als Rechtetragende, Erwachsene als Verantwortungstragende

Die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention sorgte für einen fundamentalen Paradigmenwechsel: weg von Ansätzen, die Kinder und Jugendliche als Objekt der Fürsorge wahrnehmen und behandeln, hin zur Betrachtung des Kindes als Subjekt und Träger*innen eigener, unveräußerlicher Rechte. Die in der UN-KRK festgeschriebenen Rechte erklären Kinder und Jugendliche zu „Rechteinhaber*innen“, Erwachsene sind hingegen verpflichtet diese Rechte zu gewähren und deren Inanspruchnahme vollumfänglich sicher zu stellen.

Die Anerkennung der Kinder und Jugendlichen als Subjekte und Träger*innen eigener Rechte erfordert ein kritisches Überdenken des pädagogischen Professionsverständnisses und die Inblicknahme struktureller Machtbeziehungen und Asymmetrien, wie sie im Verhältnis zwischen Lehr- und Fachkräften und Schüler*innen vorliegen. Jörg Maywald, seit 2002 Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, hebt diesen Umstand deutlich hervor, wenn er die Beziehung zwischen pädagogischen Fachkräften und Schüler*innen als eine Begegnung zwischen Ungleichen beschreibt.

Auch eine Verabschiedung vom Bild des Kindes als „Objekt“ von Bildung und Erziehung ist notwendig. Ein solchermaßen menschenrechtlich basierter Paradigmenwechsel wird als „Kinderrechtsansatz“ bezeichnet: Eine kinderrechtliche pädagogische Praxis richtet sich nicht mehr allein an den Bedürfnissen der Kinder aus, sondern auch an deren Rechten. Der Kinderrechtsansatz zielt auf eine Umgestaltung von Schule hin zu einem rechte- und beteiligungsorientierten Bildungsort.

Als Verantwortungstragende Wissen weitergeben

Mit Blick auf die schulische Praxis wird deutlich, dass Kinderrechte sowohl den Lehr- und pädagogischen Fachkräften als auch den Kindern und Jugendlichen selbst kaum bekannt sind. Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, als das in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegte „Recht auf Bildung“ (Art.28 UN-KRK) auch das Wissen um die eigenen Rechte inkludiert.

Als Mitarbeitende von staatlichen Institutionen unterliegen Lehr- und Fachkräfte der Verpflichtung zur Bekanntmachung der Kinderrechte. Sie tragen Verantwortung dafür, dass junge Menschen ihre Menschenrechte kennen, erleben und dass sie ausdrücklich ermutigt werden, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen und diese einzufordern.

Vom Wissen zur gelebten Praxis

Wenn Kenntnisse über die UN-Kinderrechtskonvention vorliegen, werden diese häufig einzig als zu vermittelndes „Fach“-Wissen, kaum aber als eine gelebte Praxis verstanden. Dabei umfasst Menschenrechtsbildung gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Erklärung der Vereinten Nationen für Menschenrechtsbildung und -training Bildung über, durch und für Menschenrechte. In ihren Empfehlungen zur Menschenrechtsbildung in der Schule greift auch die Kultusministerkonferenz diesen Ansatz auf.

Bildung über Kinderrechte braucht Wissen und Verstehen und die Information der Kinder und Jugendlichen über ihre Rechte; Bildung durch Kinderrechte erfordert die partizipative, inklusive und diversitätsbewusste Gestaltung der Lernumgebung und respektvolle pädagogische Beziehungen; Bildung für Kinderrechte erfordert demokratisches Handeln, Engagement und Empowerment für eine kindergerechte Welt.

Kinderrechtebildung in Bildungsinstitutionen entfaltet sich im Zusammenspiel wirkungsvoller Beteiligungsmöglichkeiten in der Schule und der damit einhergehenden Grundhaltung von Anerkennung und Würde allen Schüler*innen gegenüber.

Die Transformation von reinem „Kinderrechtewissen“ zu gelebter Praxis ist anspruchsvoll, denn damit geht die Aufforderung an pädagogische Fachkräfte einher, eingeschliffene Gewohnheiten, Handlungsmuster und Normen rechtebasiert neu zu hinterfragen.

Der „Kinderrechtsansatz“ als ein normativer Schulentwicklungsansatz nimmt sowohl die institutionelle Verfasstheit der Schule als auch die pädagogische Praxis der pädagogischen Fachkräfte in den Blick. Es bedarf aber genau dieser Anstrengung, damit Kinder in der Institution Grundschule tatsächlich ihre Rechte in Anspruch nehmen können.

Grundprinzipien der UN-KRK als Leitlinie pädagogischen Handelns

Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes basiert auf vier Grundprinzipien: dem Diskriminierungsverbot, dem Recht auf Leben und persönliche Entwicklung, dem Beteiligungsrecht und dem Kindeswohlvorrang.

Die Anerkennung dieser Grundprinzipien als Leitlinie pädagogischen Handelns im Berufsalltag ist geeignet, das Handeln von Lehrkräften professionsethisch neu auszurichten. Lehrkräfte stehen tagtäglich vor komplexen Aufgaben und Herausforderungen, die sich oftmals als widersprüchlich erweisen (vgl. hierzu auch den strukturtheoretischen Ansatz von Werner Helsper zu Antinomien und Paradoxien im professionellen Handeln).

So sind sie aufgefordert, die individuellen Besonderheiten und Bedürfnisse der Schüler*innen zu berücksichtigen, gleichzeitig müssen sie curricularen Ansprüchen nachkommen. Sie unterliegen administrativen Regelzwängen der Institution und sollen gleichzeitig eine lebendige Interaktion unter allen Beteiligten sicherstellen.

Vor dem Hintergrund vielfältiger Paradoxien und Widersprüche, die der Institution Schule inhärent sind, zeigt sich Professionalität vordergründig in der Fähigkeit, die vielfachen Spannungen und Widersprüche weitestgehend „sachgerecht“ handhaben zu können. Die hierarchische Struktur der Institution Schule, das asymetrische Machtverhältnis zwischen Lehrkräften (Erwachsenen) und Schüler*innen (Kinder und Jugendlichen), bleibt jedoch weiterhin unangetastet. Die Anerkennung der Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention kann dieses strukturelle Machtgefälle zwar nicht aufheben, erfordert aber eine Verpflichtung zur Beteiligung aller Kinder und Jugendlichen an schulischen Planung- und Entwicklungsaufgaben.

Die Erstellung eines Leitbildes gebotener professionsethischer Interaktionsformen und die Anerkennung eben dieses Leitbildes muss das Ergebnis eines kollektiven Reflexions- und Aushandlungsprozesses sein. Erst in der gemeinsamen Reflexion menschenrechtsgebotener Handlungsmöglichkeiten entsteht Raum und Gelegenheit, die alltäglichen Interaktionsformen - auch beiläufiger, subtiler Verletzungen - zu identifizieren und zur Sprache zu bringen.

Entwürdigende Interaktionsformen finden tagtäglich statt. Mit ihrer Inblicknahme und Benennung geht deren überfällige Enttabuisierung einher. Forschungsbefunde zeigen: „In unserem Bildungssystem sind ethisch vorbildliches, die Würde der Kinder und Jugendlichen in ausreichendem Maße (…) achtendes und ethisch unzulässiges, Kinder und Jugendliche seelisch verletzendes pädagogisches Handeln empirisch vorzufinden. Seelische Verletzungen sind die verbreitetste Form der Gewalt, die Kinder erleiden und deren Zeugen sie werden.“ (DIM et. al. 2017, S. 13)

Lehrkräfte, die ihre pädagogische Interaktion an den Rechten der Kinder ausrichten, erkennen an, dass seelische Verletzungen von Schüler*innen keine pädagogischen Kunstfehler sind, sondern ernstzunehmende Menschenrechtsverletzungen. Anerkennende Interaktionen sind täglich neu zu leistende Herstellungsaufgaben, eine einmalige Verpflichtung auf einen Verhaltenskodex ist nicht ausreichend.

Kinderrechtebildung als ein schulischer Mainstreaming-Prozess

Kinderrechtebildung ist mehr als die Durchführung vereinzelter Projekte und Angebotsformate, die über die Rechte der Kinder informieren. Kinderrechtebildung ist vielmehr als ein schulischer Mainstreaming-Prozess zu verstehen, der sich erst dann als qualitätsvoll erweist, wenn Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte (und das gesamte Schulumfeld) die Kinderrechte bekannt machen und umsetzen. Mainstreaming bedeutet, eine bestimmte inhaltliche Vorgabe (hier die UN-KRK) zu einem zentralen Kriterium bei allen Entscheidungen und Prozessen zu machen.

Dazu braucht es die ständige Auseinandersetzung mit der UN-KRK in Unterricht und Ganztag, insbesondere aber die Berücksichtigung der Meinung des Kindes in allen schulischen und außerschulischen Angelegenheiten, sowie die Herausbildung eines - sich an den Kinderrechten orientierenden - pädagogischen Ethos.

Schulen sind Bildungsinstitutionen und Sozialraum. Bildungsinstitutionen, die die Kinderrechte als normativen Bezugspunkt in den Mittelpunkt ihrer Strategien und Planungen stellen, entwickeln sukzessive ein kinderrechtebasiertes Ethos und werden damit zu einem Sozialraum gelebter Kinderrechte.

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Schaubild zu UN-Konvention Bezugsnormen - Kreisförmige Anordnung von verschiedenen Kinderrechten mit Reflexionsfragen für Schulen.
Die Implementierung der UN-KRK als normativer Bezugspunkt schulischer Strategien und Planungen (Whole School Approach) © Landesprogramm Kinderrechteschulen NRW, UNICEF, EDUCATION-Y

Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass Kinder, Jugendliche und pädagogische Fachkräfte einer Schule sich untereinander und in ihrem Miteinander auf die UN-Kinderrechtskonvention beziehen.

Die Rechte der Kinder sind nicht abstrakt zu verstehen, sondern eine alltägliche Herstellungsaufgabe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Damit ist die UN-Kinderrechtskonvention sowohl Ausgangs- als auch Bezugspunkt hin zur Entwicklung einer diskriminierungsfreien und inklusiven Schule, einer Bildungsinstitution, deren prioritäres Ziel die Sicherstellung der „besten Interessen des Kindes“ (UN-KRK Artikel 3) ist.

„Eine Schule wird nicht per Dekret und „von oben“ eine Schule, die Bildung auf den Kinderrechten gründet, sondern dann, wenn Lehrer, Eltern und Kinder damit anfangen, das Bekenntnis zu den Kinderrechten in Analysen der Aufgaben und der Arbeit der Schule umzusetzen und auf dieser Grundlage Vorhaben planen. […] Entscheidend ist, dass diese Vorhaben nicht als Zusatztätigkeiten am Rande des Schulgeschehens angesehen werden, die von freiwillig Engagierten mit übrig gebliebenen Mitteln betrieben werden, sondern zum Curriculum und Profil der Schule gehören." (Lothar Krappmann 2016)

Für das Lehramtsstudium und Lehrerfortbildung wird damit die Ausbildung eines Berufsrollenverständnisses zwingend, dass den Wertvorstellungen der Kinderrechtskonvention verpflichtet ist.

Quellenverzeichnis

DIM / DJI / MRZ Potsdam / Rochow-Museum (Hrsg.) (2017): Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen. Reckahn: Rochow-Edition.

Krappmann, Lothar (2016): Kinderrechte, Demokratie und Schule: Ein Manifest. In: Krappmann, Lothar / Petry, Christian (Hrsg): Worauf Kinder und Jugendliche ein Recht haben. Kinderrechte, Demokratie und Schule: ein Manifest. Schwalbach/Ts: Debus Pädagogik Verlag.

Vorgeschlagene Zitierweise

Stroetmann, Elisabeth / Krause, Laura (2023): Zur Notwendigkeit eines kinderrechtlichen Professionsverständnisses. In: Deutsches Kinderhilfswerk (Hrsg): Kinderrechte leben - in Schule und Hort! Online-Dossier. Unter: LINK (Zugriff am: TT.MM.JJJJ).

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