Eure Geschichten

Weih­nach­ten bei den Wich­teln

Der Hilferuf

Tief im Ararat-Gebirge lebte der kleine Wichtel Izna. Weil von Geburt an sein eines Füßchen nach vorne und das andere nach hinten zeigte, war er kein Weihnachtswichtel wie seine Eltern und Geschwister. Die meisten der Ararat-Wichtel mit ihren tiefblau glänzenden Wichtelmänteln waren Weihnachtswichtel. Denn Weihnachten war bei den Wichteln Hochsaison. All die vielen Wunschzettel der Kinder aus aller Welt mussten gelesen, übersetzt und sortiert werden. Dann wurden sie an die Weihnachtsfabrik in Rovaniemi ganz oben in Finnland zur Bearbeitung weitergeleitet.

Da Izna aber eben kein Weihnachtswichtel war, arbeitete er nicht beim Weihnachtspostamt, an das die Kinder ihre Wunschzettel schickten. Er arbeitete beim Wichtelpostamt. Hier kam die Post für die Wichtel selber an. Denn Wichtelfamilien waren riesengroß und verteilten sich über alle Kontinente. Da tief unten im Berg Handys nicht funktionierten, nutzten die Wichtel den Postweg, um miteinander in Kontakt zu bleiben. Dank seiner Füße konnte Izna schneller als alle anderen Wichtel die Wichtelpost austragen. Denn er konnte genauso blitzeschnell vorwärts wie rückwärtslaufen.

Und so flitzte er jeden Tag durch das ganze Wichtelreich und verteilte Briefe, Postkarten, Zeitungen, Päckchen und vieles mehr. Er liebte seine Arbeit. Er kannte jeden Winkel im Ararat-Wichtelreich und verstand sich mit jeder Wichtelin und jedem Wichtel. Alle freuten sich, wenn Izna mit der Post um die Ecke geflitzt kam. Manchmal allerdings, ganz selten, erlag der kleine Wichtel seiner Neugierde und hielt sich nicht an das Postgeheimnis. Wenn ihm eine Postkarte mit einem zu schönen oder aufregenden Bild aus der großen, weiten Welt in die Hände fiel, konnte er einfach nicht anders. Er musste sie lesen.

So auch an diesem Dienstagmorgen. Auf der Vorderseite der Postkarte war ein dunkler Wald zu sehen, durch den dicke Nebelschwaden zogen. Uuuuaaaaarhh, unheimlich! Izna fröstelte beim Anblick ein bisschen. Die Karte war an Lunas adressiert. Izna wusste gleich, wer das war. Er war der große Bruder von der Nachbarin der Cousine seiner Mutter oder so ähnlich und ein paar Jahre älter als Izna. Er lebte sehr zurückgezogen auf der anderen Seite der großen Wichtelhalle und bekam nur äußerst selten Post. Auf der Rückseite der Karte stand nur ein Satz:

“Lunas, komm so schnell du kannst, wir brauchen deine Hilfe! Kaylah”

Lunas

Mist, hätte Izna die Postkarte doch einfach nicht gelesen. Sein Verstand sagte ihm, dass er die Karte wieder weglegen sollte. Sein Herz aber wusste, dass da irgendetwas faul war. Und er wäre nicht der neugierigste Wichtel des ganzen Ararat-Gebirges, wenn er der Sache nicht auf den Grund gehen würde. Momentan waren die anderen Wichtel wegen der Weihnachtssaison mit anderen, “wichtigeren Dingen” beschäftigt. Oh, wie er Weihnachten verfluchte – immer ausgeschlossen zu werden. Aber nun ja, er konnte sich seine Aufgaben auch selbst suchen.

Izna machte sich auf zu Lunas. Schon komisch, dass er so selten Besuch bekam. So richtig kannte er ihn auch nicht und gesehen hatten sie sich noch nie. Irgendwie konnte sich Izna aber jetzt schon in Lunas reinfühlen und freute sich umso mehr, zusammen mit ihm dem Rätsel auf die Spur zu kommen.

Voller Tatendrang klopfte er gegen Lunas’ Tür. Seine Freude verpuffte jedoch allmählich, als ihm nach geschlagenen 10 Minuten immer noch niemand geöffnet hatte. “Dann halt nicht...”, murmelte er traurig und wollte sich gerade auf den Rückweg machen, als eine laute Stimme ihn zusammenzucken ließ. “Hey! Was hast du auf meinem Grundstück zu suchen? Verschwinde!” Lunas kam den Weg zu seiner Eingangstür hochgestapft und schaute grimmig auf Izna herunter. Dieser hielt ihm schüchtern die Postkarte vor die Nase. “F-F-F-Für dich”, stammelte Izna. Lunas riss ihm die Karte aus der Hand und während er sie las, verdunkelten sich seine Züge. “Was zum ...”, flüsterte er, wandte sich ab und machte Anstalten in seiner Hütte zu verschwinden. Izna schien er völlig vergessen zu haben.

"Ähh, Entschuldigung?” Izna rannte Lunas hinterher. “Worum geht es denn? Kann ich helfen? Ich würde gerne helfen. Weißt du, ich darf ja nicht bei den Weihnachts-Wichteln mitmachen und da dachte ich...”, plapperte Izna, doch Lunas unterbrach ihn.

“Das geht dich nichts an.”

“Aber irgendjemand scheint Hilfe zu brauchen.”

“Ist mir egal.”

“Aber …"

“Na schön, wenn du es unbedingt wissen willst. Mein Patenonkel geht in Rente und will, dass ich seine Stelle übernehme, weil er keine Kinder hat. Das war’s schon.” Izna war enttäuscht. Das sollte es gewesen sein? “Wer ist denn dein Patenonkel? Bestimmt kenne ich ihn, ich kenne das ganze Dorf.” Lunas sah ihn einen Moment lang an und seufzte dann schwer. “Der Weihnachtsmann.”

Izna hat einen Plan

“Der Weihnachtsmann?”, dachte Izna laut vor sich hin, nicht ganz sicher, ob er den Weihnachtsmann überhaupt mögen sollte oder nicht. Schließlich war er einer der Gründe, warum Izna nie am Weihnachtsfest teilhaben durfte. Andererseits las Izna jedes Jahr in den Zeitungen, die er austrug, wie sehr sich die Kinder auf der ganzen Welt über die Geschenke des Weihnachtsmannes freuten. Und das erwärmte sein Herz jedes Jahr aufs Neue. Wie schade er es finden würde, wenn die Berichte über freudige Kinder mit deren leuchtenden Menschenaugen aus den Zeitungen verschwinden würden. Das war immer das Einzige gewesen, was Izna an Weihnachten erfreut hatte.

Lunas, der so wenig Geduld und Mitgefühl wie die Winterkobolde im Ararat-Wald besaß, ging und knallte seine Haustür mit einem lauten “Rrrrummmsss” zu. Das holte Izna aus seinen Gedanken zurück in die Realität und ohne großartig nachzudenken, hämmerte er gegen Lunas’ verschlossene Tür und sprudelte los: “Hey, hey, warte doch! Ich habe da eine Idee!” “Ich will nichts davon hören.” “Wie wäre es, wenn ich mich auf die Suche nach einem Ersatz für dich mache?”, fuhr Izna unbeirrt fort. Zuerst hörte Izna nichts mehr, bloß den scharfen Wind, der so schnell um die Häuser pfiff. Dann hörte er, wie sich ein Schlüssel durch das Türschloss schob und ein peinlich berührter Lunas durch die Tür spähte.

“Das würdest du tun? Warum denn das?” Was diese Frage betraf, erinnerte sich Izna an die Gedanken, die er vorhin hatte und schmunzelte Lunas an, ohne ihm seine Frage zu beantworten. Dann fuhr er fort: “Ich kenne so gut wie jede Wichtelin und jeden Wichtel in diesem Land. Da wird es nicht so schwer sein, jemanden zu finden, der gerne das Erbe vom Weihnachtsmann übernehmen würde. Oh, wer weiß, vielleicht haben wir ja irgendwann auch mal eine Weihnachtsfrau!” “Wenn du das für so eine gute Idee hältst...”, grummelte Lunas. “Ja, na klar, ich benötige nur deine Hilfe. Alleine schaffe ich das nicht an einem Tag.”

Der Nachfolger vom Weihnachtsmann

Und so machten sich Izna und Lunas gemeinsam daran, jede Wichtelin und jeden Wichtel zu besuchen. Viele von ihnen waren zu beschäftigt mit ihrer Familie oder dem Weihnachtsfest oder mit ganz anderen Dingen. Einige stellte sich zu sehr in den Vordergrund und wollten beweisen, wie schnell sie auf einem Rentier reiten konnten. Andere wiederum zeigten, wie gut sie sich als Weihnachtsmann oder Weihnachtsfrau eignen würden, wollten aber nicht so eine große Verantwortung tragen.

Als sie wieder bei Lunas zuhause angekommen waren und sich gemütlich vor dem Kamin in Decken eingekuschelt hatten, um sich von dieser anstrengenden Reise zu erholen, hörten sie plötzlich viele Stimmen. Diese Stimmen kamen immer näher. Lunas, der sowieso schon wieder genervt war, schritt zur Tür, um nachzusehen, was dort draußen los war. Er riss seine Tür mit voller Wucht auf und staunte, als er seinen Patenonkel vor sich stehen sah.

Sein Patenonkel war nicht alleine gekommen, sondern in Begleitung von fast allen Wichtelinnen und Wichteln des Wichtellandes. “Was willst du hier?” fragte Lunas schroff. “Ich habe von einem jungen Wichtel gehört, der es geschafft hat, innerhalb eines Tages das ganze Ararat-Gebirge zu durchstreifen, um einen Wichtel zu finden, der in meine Fußstapfen treten könnte. Nun, ich finde es schade, Lunas, dass du es nicht sein möchtest. Und noch bedauernswerter ist es, dass dieser Wichtel mir so helfen wollte, ohne jemals etwas dafür zurück zu verlangen.” Niemand hatte bemerkt, dass Izna sich neben Lunas in den Türrahmen geschlichen hatte. Nun hatte er mit den Tränen zu kämpfen, da er die Dankbarkeit des Weihnachtsmannes spürte.

Der Weihnachtsmann fuhr fort: “Und deswegen wollte ich dich, Izna, fragen, ob du mein Nachfolger sein möchtest.” Er blickte Izna direkt in die Augen. Dieser spürte, wie nun alle Augen auf ihn gerichtet waren, was diese Entscheidung nicht gerade erleichterte. Er dachte daran, dass er derjenige wäre, der die Kinder auf der ganzen Welt glücklich machen könnte und wie er sich gleichzeitig dafür einsetzen könnte, dass Wichtel wie er nicht mehr vom Weihnachtsfest ausgeschlossen werden. “Ja, das möchte ich”, erwiderte er mit strahlenden Augen. Der Weihnachtsmann klatschte laut, während die Menge hinter ihm anfing, zu jubeln und ihren neuen Weihnachtsmann, Izna, zu beglückwünschen.

Das war unsere Weihnachtsgeschichte 2020:

Eure Geschichten

Fröh­li­ches Uwa­weih!

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Eure Kommentare

Mir gefällt die Geschichte 🎅

Echt cool und ausführlich 

Das sind zwei tolle Geschichten!