Eure Geschichten

Das ver­wun­sche­ne In­ter­nat Ka­pi­tel 7

Der nächste Morgen

„Oh, ich muss zum Buffet. Die Kinder warten auf die Brötchen.“ Frau Lensen drehte sich um. „Viel Glück für den ersten Unterrichtstag in Wittekindsburg!“

„Danke, den werden wir haben“, meinte Emma und sah zu einem weißen Tisch hinüber, an dem ein junges Mädchen mit ihrer Freundin saß. Sie schaute genauer hin, und da erkannte sie die Zwei. Es waren Lilly und Jenni. Aufgeregt quasselten die beiden über irgendetwas. Der Tisch befand sich direkt an einem riesigen Fenster, von dem aus man einen Überblick über die halbe Stadt hatte. Auch die Grundschule von den Schwestern konnte man sehen.

„Lass uns doch zu Lilly und Jenni setzen. Vielleicht können wir ja mitreden.“ Marie hatte die Freundinnen auch gesehen, und lief zielstrebig zu ihnen hinüber. Wenn Lilly mitkriegen würde was heute Nacht passiert war, würde sie bestimmt nicht mehr so viel über das Geschehnis von gestern Abend nachdenken. Emma folgte ihrer Schwester.

Jenni winkte Emma und Marie zu, als sie sie sah. Freundlich begrüßte sie die zwei.

„Hier kommt eine Ladung Brötchen!“ Auch Carlotta war schon da. Und anscheinend saß sie am gleichen Tisch wie Lilly und Jenni. Doch als Carlotta die Schwestern erblickte, ließ sie verschmitzt die drei Teller sinken.

„Entschuldigung, ich wusste nicht dass ihr auch kommt. Soll ich auch für euch was zu Essen holen?“

„Neh.“ Marie winkte ab. „Das sollten wir mit elf Jahren schon allein schaffen. Aber können wir uns gleich an euren Tisch setzen?“

Die drei anderen nickten. „Klar, Louise kommt übrigens auch gleich. Und Stühle gibt es an diesem Tisch ja genug.

Jennis Känguru

Nachdem Marie und Emma für sich und Louise Essen geholt hatten, kamen sie zurück zum Tisch. Die sechste Freundin – nämlich Louise – war auch schon da. Sie sah sehr hungrig aus.

„Essenslieferung!“, rief Emma. Sie stellte die Teller auf den Tisch und schaute Louise direkt ins Gesicht. „Hast du ihnen schon von heute Nacht erzählt?“

Louise nickte. Da erst bemerkte sie, dass ihre Freundin heute statt offenen Haaren zwei Zöpfe trug. Ihrer Meinung nach passte das total gut zu ihren blau gefärbten Haaren. Dazu hatte sie sich ein grünes Sommerkleid und dunkelblaue Strümpfe ausgesucht.

„Sieht gut aus“, meinte Marie. Ihre Schwester nickte zustimmend. Dann setzten sie sich hin und fingen an zu essen. Louise hatte den anderen schon die Ereignisse erklärt. Aufmerksam hatten die anderen ihr zugehört.

„Ganz schön komisch. Aber stell dir vor was mir passiert ist! Gestern Abend ist bei mir ein Känguru durch das Zimmer gehüpft!“ Jenni schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Es war einfach da. Keine Ahnung wo es herkam. Aber ich hatte ein paar Minuten vorher über Kängurus im Internet recherchiert, weil ich letztens im Museum ein ausgestopftes Känguru gesehen habe. Seitdem will ich so viel wie möglich über diese Tiere wissen. Und plötzlich stand dann ein pudelechtes in Lillys und meinem Zimmer!“

Marie schüttelte ungläubig den Kopf. „Und was hast du gemacht?“

Jenni zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob ihr mir das jetzt abkauft. Aber meins ist ja im ersten Stock und hat eine Terrassentür. Ich bin mit dem Känguru nach draußen geritten und habe es in ein leeres Hühnergehege im Wald gebracht.“

„Was?!“, riefen Marie, Emma und Louise im Chor.

Lilly stimmte Jenni zu. „Das ist richtig. Ich bin Augenzeugin.“

„Toll, kannst du uns das Känguru mal zeigen?“ Emma strich sich über ihre langen, lockigen, schwarzen Haare. Sie war schon echt gespannt.

Jenni lächelte. „Wenn es noch da ist, gerne nach dem Unterricht. Oder in der Pause.“

„Wir dürfen in der Pause raus?“, rief Marie.

„Klar.“ Carlotta lachte. „Wozu haben wir denn einen Wald als Nachbarn?“

Der erste Schultag

Nach dem Frühstück holten alle ihre Schultaschen her. Für die Bücher von Marie und Emma hatte Frau Kettler schon gesorgt. Ordentlich lagen sie in Emmas Koffer. Auch Marie konnte in ihrem welche finden.

„Wozu brauchen wir denn so ein dickes Buch?“, fragte Emma. Marie zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung.“

Dann liefen sie über den Flur, bis sie zu einem langen Korridor kamen. Der rote Teppich verschluckte ihre Schritte, und an den Wänden hingen Bilder von der jährlichen Sechstklässler-Wanderung. Endlich kamen die Schwestern schließlich an einer steilen Treppe an, die direkt in eine große Halle führte. Mehrere Türen gingen von hier weg. Und auf jeder der Türen standen zwei Zeichen. 5a, 5b, 6a, 6b, 7a und 7b. Die höheren Klassen befanden sich nicht im Ostflügel der Burg, sondern im Südflügel. Dort, wo auch die Zimmer der Älteren waren. Emma drückte vorsichtig die Klinke der 5b runter. Doch da schwang die Tür auf und ein Mann mit ledrigen, blonden Haaren und einem Tattoo auf dem Unterarm stand vor ihr. Er trug eine dunkelgraue Jeans und einen rot-weiß gestreiften Pullover, auf dem in verschnörkelten Buchstaben stand: Be cool!

„Hi“, begrüßte sie der Mann. „Ich bin Herr Müller. Der Mann von Frau Müller. Ich mache mit euch den Erdkundeunterricht.“

„Also haben wir jetzt  Erdkunde? Cool.“ Plötzlich stand Marie hinter Emma.

„Hallo, ich bin Emma.“ Emma zeigte auf ihre Schwester. „Und das ist Marie.“

„Oh, hallo, schön dass ihr da seid.“ Herr Müller ließ Emma und Marie vorbei.

Die Schwestern sahen sich aufgeregt um. An einer weiß gestrichenen Wand hing eine dunkelgrüne Tafel, vor der mehrere Schultische und Stühle aufgebaut waren. In der Ecke hing ein kleines Regal, auf dem eine Weltkugel und ein paar Blumen standen. Und so viele neue Gesichter!

Emma nahm die Kinder genauer unter die Lupe. Sie beobachtete einen kleinen Jungen mit dunkelbraunen Haaren, der gerade seine Schultasche abstellte. Auch ein Mädchen mit zwei feuerroten Zöpfen saß an einem der Tische. Sogar Lilly, Carlotta, Jenni und Louise konnte sie entdecken. Lilly winkte den zwei nervös. Neben ihr war noch ein Platz frei. Emma setzte sich schnell zu ihr. Marie fand ihren Platz in der hintersten Reihe zwischen Carlotta und einem anderen Jungen. Dann ging der Unterricht los.

Herr Müller erklärte den Mädchen das neue Thema. Es waren die sechs Kontinente! Jeder sollte etwas über einen Kontinent sagen. Marie zeigte als erste auf.

Sie wurde auch dran genommen. „Ja? Marie?“

Marie legte ihren Bleistift zurück ins Etui. „In Nordamerika gibt es Indianer.“ Plötzlich glitzerten ihre Hände und der Pfeilbogen und die Pfeile erschienen wieder. „Mist!“, murmelte Marie und versteckte die zwei Sachen schnell unter ihrem Tisch.

Dann wurde der Junge mit der Schultasche dran genommen, dann das Mädchen mit den roten Zöpfen, und schließlich war mit Südamerika Emma dran. Selbstsicher fing sie an zu erzählen. „In Südamerika ist auch Los Angeles. Und ein Teil von Los Angeles ist Hollywood. Da wohnen ganz viele Schauspieler. Und der eine der sagt doch immer: Schauspieler Power! Schauspieler Power! …“

Bei dem Wort Schauspieler Power glitzerten plötzlich Emmas Haare, und aus ihrem rosanem Kleid und der zitronengelben Hose wurde ein glitzerndes und funkelndes Kleid, und in ihren Haaren bekam sie eine rote Schleife, auf der das Zeichen des Turms war.

„Ähm, Emma … ? Du hast da … Ein … Äh …“, stotterte Herr Müller.

Emma sah erschrocken an sich herunter. „Ähm, ich muss mal kurz auf´s Klo“, log sie und sprang auf. Der rosefarbene Tüll flog durch die Luft, als Emma die Tür hinter sich zuknallte.

„Ist wohl blöd gelaufen, was?“, fragte plötzlich ein kleines Mädchen, das ungefähr so groß war wie ein Gartenzwerg.

Noch mehr Seltsames

Inzwischen war in der Klasse ein wildes Treiben ausgebrochen. Alle Schultaschen wurden von der Jungsclique durchsucht, anscheinend suchten sie tatsächlich einen Zauberstab.

Jenni und Lilly standen schweigend daneben, während Marie aufgeregt mit Louise sprach. Nur Carlotta saß allein in einer Ecke. Sie wunderte sich darüber, dass sie die Einzige der Sechs ohne Zauberkräfte war. Doch zum Glück hatte der junge Lehrer es nach ein paar Minuten geschafft, alle zu beruhigen, und der Unterricht ging weiter. Carlotta war als nächste dran. Sie erzählte von einer Reise nach Afrika, auf der sie einen Elefanten gesehen hatte.

„ … Das war absolut elefantastische Kraft, mit der der Elefant gegen den Baum gekracht ist.“

Carlotta holte einen Ohrring aus ihrer Tasche. Er war rot und ein kleiner Elefant war darauf abgebildet.

„Diese Ohrringe habe ich heute Morgen im Frühstücksraum gefunden, gehören sei euch?“

Alle schüttelten die Köpfe.

„Gut.“ Carlotta putzte die Ohrringe ab. „Dann trage ich sie selber.“

Sie wollte den ersten Ohrring gerade reinstecken, als sie an den Elefanten dran kam, und die Ohrringe an ihre Ohren flogen. Entsetzt lief Carlotta zur Tafel. Nicht nur ihre Ohren hatten sich verändert, sondern in der hintersten Ecke des Zimmers saß ein kleiner Elefant. Er war zwar noch ein Baby, konnte aber bestimmt trotzdem gefährlich werden. Die anderen Kinder kamen auch zur Tafel gerannt. Keine Sekunde zu früh. Schon sauste der Elefant los, drehte ein paar Tunden um die Tische, und lief dann im Slalom zur Tafel. Alle Mädchen und Jungs schrien. Doch der Elefant brauste mit einer mega Geschwindigkeit auf Carlotta zu. Diese drehte ihr Gesicht zur Tafel, und hielt schützend die Hände vor ihren Hinterkopf.

Der Elefant rannte weiter, bremste im letzten Moment ab, und blieb mit seinem Elfenbein direkt vor Carlottas Auge stehen. Noch ein Zentimeter weiter und der Elefant würde ihr ins Auge stechen. Doch er bewegte sich kein Stück. Wie angewurzelt blieb er stehen. Carlotta wagte es, ihre Hand auf den Kopf des Elefantenbabys zu legen. Das kleine Tier blieb brav sitzen. Carlotta traute sich immer mehr und drehte sich schließlich im Kreis. Der Elefant machte es ihr nach. Wie süß das aussah! Er konnte sogar wie ein Hund  seinen Schwanz jagen.

„Wow, habt ihr euch schon mal irgendwo gesehen?“ Herr Müller kratzte sich verwirrt den Kopf.

„Neh, eigentlich nicht“, erwiderte Carlotta und schickte den Elefanten raus. Etwas traurig schaute sie ihm nach als er in den Wald lief. Wie schnell man aber auch jemanden lieb gewinnen konnte.

„Carlotta?“, fragte Herr Müller und sah seiner Schülerin streng in die Augen.

Carlotta drehte sich um. „Ja?“

Herr Müller kratzte sich an der Nase. „Könntest du mir das bitte erklären? Wie kommt dein Elefant hier ins Klassenzimmer? Hat er die ganze Zeit in deinem Zimmer gewohnt?“

Mein Elefant?“, rief Carlotta entsetzt. „Aber ich habe keinen Elefanten!“

„Genau!“, sprang Louise für sie ein. „Wir wohnen im gleichen Zimmer, und meine Freundin hatte noch nie irgendwas mit Elefanten am Hut! Na ja, außer der Reise nach Afrika … Aber das war´s auch schon.“

Doch auch jedes Abstreiten half nichts. Herr Müller blieb der Meinung, dass der Elefant Carlotta gehörte. Diese musste nach dem Unterricht nachsitzen, und würde nicht mitkommen können, wenn die anderen fünf am Mittag das Känguru von Jenni besichtigen würden.

 

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Eure Kommentare

Interessant!

Cool, gefällt mir gut das du so viel geschrieben hast! Liebe Grüße 

Mega tolle Geschichte 🤩🤩🤩🤩

Wow! Du bist endlich wieder da!!! Bitte sei wieder regelmäßig aktiv, ich vermisse deine Geschichten!

cool